Ironman Switzerland - It's not about the Time (17.07.05)
Wie letztes Jahr in Klagenfurt nehme ich mir die Woche vor dem Wettkampf frei und reise schon am Dienstag ab, diesmal in die Schweiz. Am folgenden Vormittag ist die Radstrecke dran. Sie ist doch um einiges schwieriger als die um den Wörthersee: 60 km Runde mit etwa 550 Höhenmetern sind am Sonntag dreimal zu bewältigen; heute reicht einmal. Dabei ist nicht der "Heartbreak-Hill", eine kurze, steile Rampe bei Kilometer 52 der Knackpunkt, sondern einer der unscheinbaren Hügel am Zürichsee mit dem unmißverständlichen Namen "The Beast". Insgesamt 13 km, mit kurzer Abfahrt dazwischen, dauert der Aufstieg nach Forch. Zwei Bergwertungen sind zu gewinnen. Danach eine sauschnelle Abfahrt zurück zum See, wo zum Teil Geschwindigkeiten von 90 km/h von Lebensmüden erreicht werden können. (Mein Tacho zeigte am Ende des Wettkampftages ein Max von 80 km/h an.) Trotzdem empfinde ich die Radstrecke für machbar und etwaige Bedenken wegen meiner Übersetzung (53/39, 12-23 ) verfliegen.
Am Donnerstag schwimme ich dann 30 Minuten im 21 Grad warmen Zürichsee. Das Neoverbot, von dem noch vor zwei Wochen die Rede war, ist vom Tisch. Schade eigentlich. Ich stelle fest, dass am Strand links (wenn man auf den See blickt) der beste Startplatz ist, da hier keine spitzen Steine den Schwimmstart zum Spießrutenlauf machen. Das Wasser ist sauber und relativ klar. Freitag hole ich meine Startunterlagen (inklusive qualitativ hochwertigem IM Rucksack) ab, kaufe noch das obligatorische IM Radtrikot und nehme die Wettkampfbesprechung auch gleich mit. Die 6 Minuten Strafe für das Wegwerfen der Trinkflaschen außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen überrascht mich am meisten; sonst das normale Gerede. Samstag dann Anreise in Zürich (davor war ich bei meinen Eltern untergekommen), und nachmittags der Rad Check-in, zur gleichen Zeit als Jan zum wiederholten Male Lance bei der Tour de France ziehen lassen muss.
Obschon sich die Wechselzone durch minimale Wege zwischen Schwimm-, Rad- und Laufstrecke auszeichnet, lässt Sie in anderen Belangen doch zu wünschen übrig. Wenig Platz zwischen den Rädern und man muss als Athlet(in) unterschiedliche Wege laufen, je nachdem ob man am Ende oder am Anfang eines Ganges positioniert ist. Unschön. Am Wettkampftag gibt's auch keine IM-typischen Helfer, wie ich Sie aus Klagenfurt gewohnt war, die einem beim Neoausziehen helfen. Der Rad Check-In ist eine Farce. Der 12-jährige Junge ist offensichtlich überfordert. Es gibt keine Sicherheitskontrolle, die zugewiesenen Check-In Zeiten werden nicht durchgesetzt und deswegen von vielen Athleten einfach ignoriert, was zu längeren Wartezeiten führt. Darüber hinaus ist die Wechselzone nur unzulänglich kontrolliert, so dass jeder der will, diese auch betreten kann. Egal. Es gibt offensichtlich 1500 exquisitere Räder als meines, so dass sich schon keiner an meinem Esel vergreifen wird. Um 18 Uhr bin ich wieder im Hotel, esse noch etwas Spaghetti, trinke das üblich Pre-Race Glass Rotwein und lege mich dann vor die Glotze und schlafe irgendwann endlich ein.
Die Polar-Uhr piepst um 4:30 morgens. 4-5 Stunden Schlaf (nach 10 Stunden am Vortag), das muss reichen. Frühstück: zwei Tassen Kaffee, viel O-Saft und etwas Brot mit Nutella und Honig. Danach fährt mich Cate vom Hotel in die Nähe der Wechselzone, in der ich dann mein Zeugs zurecht lege und meine Reifen viermal aufpumpe. (Regel #1: Lass die blöde Pumpe das nächste Mal einfach zu Hause. Im Notfall gibt es genug Leute, die eine mitbringen.) Dann Neo an und auf zum Schwimmstart. Das Kribbeln fängt an. 6:30 Uhr. Ich schwimme mich kurz ein und merke, dass das Anti-Nebelzeugs, dass ich am Samstag noch für 10 Euronen gekauft habe (natürlich) nichts bringt. (Regel 2: Am Tag vor dem Ironman herrscht von nun an Einkaufverbot!) Ich werde nervös und pinkle erst Mal ins Wasser. Revier markieren nennt Mann das im Fachjargon! Warten auf den Start und Zeit zum Reflektieren. Es wird ein sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel. Geil. Aber ... es wird auch verdammt eng nach ca. 100 Meter auf der Schwimmstrecke. Kein Problem, ich bin ja schneller als der Pulk. Ich starte meine Polar vorzeitig, geniesse die letzte Minute und blicke ein letztes Mal auf die Alpen. Ich bin bereit und fühle mich gut.
Dann geht es ziemlich schnell. Ich werde kurz vor dem Start noch zurück gedrängt und starte aus der zweiten Reihe. Mist. Das Nadelöhr nach 100m bewältige ich zwar noch gut, doch dann Panikattacke nach 300 Metern nach wildem Gehaue. Meine Gruppe will nicht in die Richtung wie ich will, egal. Die erste Boje kommt nach 500 Metern, dann wird es ruhiger und ich finde mein Tempo. Ich habe etwas Schwierigkeiten mich zu orientieren und schwimme deswegen einem Grüppchen hinterher. Das geht ganz gut. In der zweite Runde kann ich etwas zulegen und steige nach 58 Minuten aus dem Wasser. Zufrieden jogge ich in die Wechselzone, überraschend gelassen. Es dauert etwas, bis ich mein WJ-Radtrikot anhabe. Nach weniger als 5 Minuten sitz ich auf dem Rad und strample los. Ich versuche mich zu zügeln, um diesmal gleichmäßiger durchzukommen. Ich werde konstant überholt, groß, klein, dick, dünn, jünger, älter, einzeln oder im Gruppetto. Egal, ich nenne es das unausweichliche Schicksal eines ehemaligen Leistungsschwimmers. Es wird sehr viel gelutscht. Mich interessiert das kaum. Ich halte meinen Abstand und freue mich jedesmal, wenn die Schiedsrichter wieder einen anhalten. Nach 20 km muss man zum ersten Mal "die Bestie" bändigen. Ich komme den Hügel sehr gut hoch, überhole so manchen, und höre schon einige fluchen. Bei km 27 (90° Kurve in Egg) sehe ich einen üblen Unfall (der Typ hat wohl zu spät gebremst) und bin glücklich, dass ich die Strecke schon kenne. Bei km 52 dann der Heartbreak-Hill mit seiner tollen Atmosphäre. Man fliegt regelrecht durch die Massen, die direkt links und rechts von einem Spalier stehen. Wie bei der Tour. Nur diesmal bin ich Jan und lasse Lance gerade locker am Berg stehen. Alles wird gut. Nach 1:50 h ist die erste Runde erfolgreich abgeschlossen. Für die zweite brauche ich 1:53 h. Immer noch alles im grünen Bereich. Dann die völlig unerwartete Wende. Ein mentales Loch bei km 130. Die Motivation (und damit auch der Raddruck) schwindet. Ich frage mich nach dem Warum und habe Angst vor dem bevorstehenden Marathon. Das dritte Mal zur Forch hoch kostet Körner. (Ich muss Lance leider ziehen lassen). Es ist verdammt heiss (30° im Schatten) und beim Anstieg tropfe ich nicht, sondern ein Bach fliesst aus meinem Helm über meine Oberschenkel auf den Asphalt. Ein kleiner Grippevirus, den ich vor 8 Tagen aufgegriffen habe, scheint noch Nachwehen zu erzeugen. Egal. Kurz vor Schluss sehe ich einen weiteren heftigen Unfall, diesmal läuft ein Zuschauer in eine Radgruppe. Scheinbar ein allgemeines Problem in der Schweiz, wo die Straßen nicht völlig abgesperrt werden dürfen. Ich beende die Runde mit 2:06 h, insgesamt 5:50 h für 180 km (31er Schnitt). Ich hatte mehr erwartet. Trotzdem, ich habe mich nicht völlig verausgabt, gut verpflegt und viel getrunken.
Der zweite Wechsel verläuft ohne Probleme. Ab auf die Laufstrecke. Viermal 10,55 km sind zu durchlaufen und es ist noch etwas heißer geworden. Mein erster km in 5:30. Super. Ich laufe zurückhaltend und kann einen 5:45 Schnitt in etwa halten. Nach 5 km das erste Powergel. Mir wird fast schlecht. Irgendwie hat es nicht die "aufputschende" Wirkung wie sonst. Später, nach dem dritten Gel, wechsele auf Cola. Eine weise Entscheidung. Bald hab ich mein neues Verpflegungsritual verinnerlicht. Hut ab, ein schwamm über dem Kopf ausdrücken, Hut auf, ein Schwamm für den Nacken, dann Wasser und Iso (später Cola) in kleinen Schlücken abwechselnd trinken. Die erste Runde geht relativ gut. 1:01 h. Die angepeilte Zeit von sub 4 Stunden für den Marathon scheint vielleicht noch machbar. Doch dann wieder der freie Fall in die Motivationsfalle. Es folgen drei Kilometer in 6:12, 6:20, 6:43. Ich krieg meinen Puls nicht mehr über 135. Mentale Schwäche nennt man das wohl. Plötzlich habe ich wieder vergessen, wieso ich das eigentlich freiwillig mache. Nie wieder diesen Quatsch. Und Lanza nächstes Jahr - auf keinen Fall! Das machen nur Verrückte! Ich könnte jetzt zu Hause sitzen und die Tour schauen. Wie ich - in Gottes Namen - noch fast 30 km laufen soll, ist mir ein Rätsel. Die zweite und dritte Runde sind hart (1:08 und 1:11). Cate gibt mir ein paar Salztabletten und ich fühl mich etwas besser. Am Ende der dritten Runde geht es wieder bergauf. Ich merke, dass ich ins Ziel kommen werde. Das baut mich auf. Angefeuert werde ich nicht nur von Cate, sondern auch von einigen "Unbekannten", die ich später als Forumsmitglieder von www.3athlon.de identifiziere, u.a., Simon, der ein paar tolle Bilder von mir schießt. Super!
Dann die letzten Kilometer. Plötzlich geht es wieder. Der Puls steigt. Kilometer 37 laufe ich in 5:50. Den letzten zum Ziel sogar in 5:00. (Die letzte Runde in 1:06) Ich sehe die Tribünen. Das Adrenalin strömt nun völlig ungehindert aus in den ganzen Körper. Ekstase pur. Ich will die Tränen zurückhalten, doch die Atmosphäre ist zu überwältigend. Im Lautsprecher höre ich "... aus Berlin von den Weltraumjoggern ..." und lege noch mal ne Kohle drauf. Die Ziellinie überquere ich mit hochgestreckten Armen im 4er-Schnitt-Tempo. Es ist geschafft. Die Uhr bleibt bei 11 Stunden 23 Minuten 57 Sekunden stehen. Gar kein Problem! Wieso die Zweifel? Überglücklich lege ich mich im Ziel auf den Rücken. Ich versuche den Moment zu verinnerlichen. Dann suche ich Cate in der Menge und finde Sie. Mir geht's gut. Naja fast. Aufstehen ist schwierig, Laufen geht schon besser. Ich hole mir meine Siegprämie ab: erst Kuss von Cate, dann Medaille, Finisher-Shirt, Diplom und Handtuch. Dann geht's ab in die sehr dürftige Verpflegungszone zum Essen. Nur kurz, dann zum (kalten) Duschen. Danach Massage und dann heim. Ich bin müde aber immer noch im Himmel.
Der zweite Ironman war in meinem Fall eindeutig schwieriger als der erste, da ich ja diesmal wusste, was so auf mich zukommt. Das kann auch ein Nachteil sein. Als dann klar war, dass ich in dieser Hitzeschlacht meine Zielzeit verfehlen und auch keinen Weltrekord aufstellen würde, kam ich kurz ins Schleudern. Doch dann kam die Klarheit. "It's not about the time!" - die Zeit ist zweitrangig. Der Weg ist das Ziel! An seine eigenen Grenzen zu gehen und darüber hinaus (sowohl am Wettkampftag wie auch in der sechsmonatigen Vorbereitung) ist einzig entscheidend und jedes Mal von Neuem schon allein die Reise wert. Auf ein Neues!
Bericht: Knut
Bilder: Simon Poole