Wie letztes Jahr in Klagenfurt nehme ich mir die Woche vor dem Wettkampf frei und
reise schon am Dienstag ab, diesmal in die Schweiz. Am folgenden Vormittag ist die
Radstrecke dran. Sie ist doch um einiges schwieriger als die um den Wörthersee:
60 km Runde mit etwa 550 Höhenmetern sind am Sonntag dreimal zu bewältigen; heute
reicht einmal. Dabei ist nicht der "Heartbreak-Hill", eine kurze, steile Rampe bei
Kilometer 52 der Knackpunkt, sondern einer der unscheinbaren Hügel am Zürichsee mit
dem unmißverständlichen Namen "The Beast". Insgesamt 13 km, mit kurzer Abfahrt
dazwischen, dauert der Aufstieg nach Forch. Zwei Bergwertungen sind zu gewinnen.
Danach eine sauschnelle Abfahrt zurück zum See, wo zum Teil Geschwindigkeiten von
90 km/h von Lebensmüden erreicht werden können. (Mein Tacho zeigte am Ende des
Wettkampftages ein Max von 80 km/h an.) Trotzdem empfinde ich die Radstrecke für
machbar und etwaige Bedenken wegen meiner Übersetzung (53/39, 12-23 ) verfliegen.
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Am Donnerstag schwimme ich dann 30 Minuten im 21 Grad warmen Zürichsee. Das
Neoverbot, von dem noch vor zwei Wochen die Rede war, ist vom Tisch. Schade
eigentlich. Ich stelle fest, dass am Strand links (wenn man auf den See blickt)
der beste Startplatz ist, da hier keine spitzen Steine den Schwimmstart zum
Spießrutenlauf machen. Das Wasser ist sauber und relativ klar. Freitag hole ich
meine Startunterlagen (inklusive qualitativ hochwertigem IM Rucksack) ab, kaufe
noch das obligatorische IM Radtrikot und nehme die Wettkampfbesprechung auch gleich
mit. Die 6 Minuten Strafe für das Wegwerfen der Trinkflaschen außerhalb der dafür
vorgesehenen Zonen überrascht mich am meisten; sonst das normale Gerede. Samstag
dann Anreise in Zürich (davor war ich bei meinen Eltern untergekommen), und
nachmittags der Rad Check-in, zur gleichen Zeit als Jan zum wiederholten Male
Lance bei der Tour de France ziehen lassen muss.
Obschon sich die Wechselzone durch minimale Wege zwischen Schwimm-, Rad- und
Laufstrecke auszeichnet, lässt Sie in anderen Belangen doch zu wünschen übrig.
Wenig Platz zwischen den Rädern und man muss als Athlet(in) unterschiedliche Wege
laufen, je nachdem ob man am Ende oder am Anfang eines Ganges positioniert ist.
Unschön. Am Wettkampftag gibt's auch keine IM-typischen Helfer, wie ich Sie aus
Klagenfurt gewohnt war, die einem beim Neoausziehen helfen. Der Rad Check-In ist
eine Farce. Der 12-jährige Junge ist offensichtlich überfordert. Es gibt keine
Sicherheitskontrolle, die zugewiesenen Check-In Zeiten werden nicht durchgesetzt
und deswegen von vielen Athleten einfach ignoriert, was zu längeren Wartezeiten
führt. Darüber hinaus ist die Wechselzone nur unzulänglich kontrolliert, so dass
jeder der will, diese auch betreten kann. Egal. Es gibt offensichtlich 1500
exquisitere Räder als meines, so dass sich schon keiner an meinem Esel vergreifen
wird. Um 18 Uhr bin ich wieder im Hotel, esse noch etwas Spaghetti, trinke das
üblich Pre-Race Glass Rotwein und lege mich dann vor die Glotze und schlafe
irgendwann endlich ein.
Die Polar-Uhr piepst um 4:30 morgens. 4-5 Stunden Schlaf (nach 10 Stunden am
Vortag), das muss reichen. Frühstück: zwei Tassen Kaffee, viel O-Saft und etwas
Brot mit Nutella und Honig. Danach fährt mich Cate vom Hotel in die Nähe der
Wechselzone, in der ich dann mein Zeugs zurecht lege und meine Reifen viermal
aufpumpe. (Regel #1: Lass die blöde Pumpe das nächste Mal einfach zu Hause. Im
Notfall gibt es genug Leute, die eine mitbringen.) Dann Neo an und auf zum
Schwimmstart. Das Kribbeln fängt an. 6:30 Uhr. Ich schwimme mich kurz ein und
merke, dass das Anti-Nebelzeugs, dass ich am Samstag noch für 10 Euronen gekauft
habe (natürlich) nichts bringt. (Regel 2: Am Tag vor dem Ironman herrscht von nun
an Einkaufverbot!) Ich werde nervös und pinkle erst Mal ins Wasser. Revier
markieren nennt Mann das im Fachjargon! Warten auf den Start und Zeit zum
Reflektieren. Es wird ein sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel. Geil. Aber
... es wird auch verdammt eng nach ca. 100 Meter auf der Schwimmstrecke. Kein
Problem, ich bin ja schneller als der Pulk. Ich starte meine Polar vorzeitig,
geniesse die letzte Minute und blicke ein letztes Mal auf die Alpen. Ich bin
bereit und fühle mich gut.
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Dann geht es ziemlich schnell. Ich werde kurz vor dem Start noch zurück gedrängt
und starte aus der zweiten Reihe. Mist. Das Nadelöhr nach 100m bewältige ich zwar
noch gut, doch dann Panikattacke nach 300 Metern nach wildem Gehaue. Meine Gruppe
will nicht in die Richtung wie ich will, egal. Die erste Boje kommt nach 500
Metern, dann wird es ruhiger und ich finde mein Tempo. Ich habe etwas
Schwierigkeiten mich zu orientieren und schwimme deswegen einem Grüppchen
hinterher. Das geht ganz gut. In der zweite Runde kann ich etwas zulegen und
steige nach 58 Minuten aus dem Wasser. Zufrieden jogge ich in die Wechselzone,
überraschend gelassen. Es dauert etwas, bis ich mein WJ-Radtrikot anhabe. Nach
weniger als 5 Minuten sitz ich auf dem Rad und strample los. Ich versuche mich zu
zügeln, um diesmal gleichmäßiger durchzukommen. Ich werde konstant überholt, groß,
klein, dick, dünn, jünger, älter, einzeln oder im Gruppetto. Egal, ich nenne es
das unausweichliche Schicksal eines ehemaligen Leistungsschwimmers. Es wird sehr
viel gelutscht. Mich interessiert das kaum. Ich halte meinen Abstand und freue
mich jedesmal, wenn die Schiedsrichter wieder einen anhalten. Nach 20 km muss
man zum ersten Mal "die Bestie" bändigen. Ich komme den Hügel sehr gut hoch,
überhole so manchen, und höre schon einige fluchen. Bei km 27 (90° Kurve in Egg)
sehe ich einen üblen Unfall (der Typ hat wohl zu spät gebremst) und bin glücklich,
dass ich die Strecke schon kenne. Bei km 52 dann der Heartbreak-Hill mit seiner
tollen Atmosphäre. Man fliegt regelrecht durch die Massen, die direkt links und
rechts von einem Spalier stehen. Wie bei der Tour. Nur diesmal bin ich Jan und
lasse Lance gerade locker am Berg stehen. Alles wird gut. Nach 1:50 h ist die erste
Runde erfolgreich abgeschlossen. Für die zweite brauche ich 1:53 h. Immer noch
alles im grünen Bereich. Dann die völlig unerwartete Wende. Ein mentales Loch bei
km 130. Die Motivation (und damit auch der Raddruck) schwindet. Ich frage mich
nach dem Warum und habe Angst vor dem bevorstehenden Marathon. Das dritte Mal
zur Forch hoch kostet Körner. (Ich muss Lance leider ziehen lassen). Es ist
verdammt heiss (30° im Schatten) und beim Anstieg tropfe ich nicht, sondern ein
Bach fliesst aus meinem Helm über meine Oberschenkel auf den Asphalt. Ein kleiner
Grippevirus, den ich vor 8 Tagen aufgegriffen habe, scheint noch Nachwehen zu
erzeugen. Egal. Kurz vor Schluss sehe ich einen weiteren heftigen Unfall, diesmal
läuft ein Zuschauer in eine Radgruppe. Scheinbar ein allgemeines Problem in der
Schweiz, wo die Straßen nicht völlig abgesperrt werden dürfen. Ich beende die
Runde mit 2:06 h, insgesamt 5:50 h für 180 km (31er Schnitt). Ich hatte mehr
erwartet. Trotzdem, ich habe mich nicht völlig verausgabt, gut verpflegt und
viel getrunken.
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Der zweite Wechsel verläuft ohne Probleme. Ab auf die Laufstrecke. Viermal 10,55 km
sind zu durchlaufen und es ist noch etwas heißer geworden. Mein erster km in 5:30.
Super. Ich laufe zurückhaltend und kann einen 5:45 Schnitt in etwa halten. Nach 5
km das erste Powergel. Mir wird fast schlecht. Irgendwie hat es nicht die
"aufputschende" Wirkung wie sonst. Später, nach dem dritten Gel, wechsele auf Cola.
Eine weise Entscheidung. Bald hab ich mein neues Verpflegungsritual verinnerlicht.
Hut ab, ein schwamm über dem Kopf ausdrücken, Hut auf, ein Schwamm für den Nacken,
dann Wasser und Iso (später Cola) in kleinen Schlücken abwechselnd trinken. Die
erste Runde geht relativ gut. 1:01 h. Die angepeilte Zeit von sub 4 Stunden für
den Marathon scheint vielleicht noch machbar. Doch dann wieder der freie Fall in
die Motivationsfalle. Es folgen drei Kilometer in 6:12, 6:20, 6:43. Ich krieg
meinen Puls nicht mehr über 135. Mentale Schwäche nennt man das wohl. Plötzlich
habe ich wieder vergessen, wieso ich das eigentlich freiwillig mache. Nie wieder
diesen Quatsch. Und Lanza nächstes Jahr - auf keinen Fall! Das machen nur
Verrückte! Ich könnte jetzt zu Hause sitzen und die Tour schauen. Wie ich - in
Gottes Namen - noch fast 30 km laufen soll, ist mir ein Rätsel. Die zweite und
dritte Runde sind hart (1:08 und 1:11). Cate gibt mir ein paar Salztabletten und
ich fühl mich etwas besser. Am Ende der dritten Runde geht es wieder bergauf. Ich
merke, dass ich ins Ziel kommen werde. Das baut mich auf. Angefeuert werde ich
nicht nur von Cate, sondern auch von einigen "Unbekannten", die ich später als
Forumsmitglieder von www.3athlon.de identifiziere, u.a., Simon, der ein paar tolle
Bilder von mir schießt. Super!
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Dann die letzten Kilometer. Plötzlich geht es wieder. Der Puls steigt. Kilometer
37 laufe ich in 5:50. Den letzten zum Ziel sogar in 5:00. (Die letzte Runde in
1:06) Ich sehe die Tribünen. Das Adrenalin strömt nun völlig ungehindert aus in
den ganzen Körper. Ekstase pur. Ich will die Tränen zurückhalten, doch die
Atmosphäre ist zu überwältigend. Im Lautsprecher höre ich "... aus Berlin von den
Weltraumjoggern ..." und lege noch mal ne Kohle drauf. Die Ziellinie überquere ich
mit hochgestreckten Armen im 4er-Schnitt-Tempo. Es ist geschafft. Die Uhr bleibt
bei 11 Stunden 23 Minuten 57 Sekunden stehen. Gar kein Problem! Wieso die Zweifel?
Überglücklich lege ich mich im Ziel auf den Rücken. Ich versuche den Moment zu
verinnerlichen. Dann suche ich Cate in der Menge und finde Sie. Mir geht's gut.
Naja fast. Aufstehen ist schwierig, Laufen geht schon besser. Ich hole mir meine
Siegprämie ab: erst Kuss von Cate, dann Medaille, Finisher-Shirt, Diplom und
Handtuch. Dann geht's ab in die sehr dürftige Verpflegungszone zum Essen.
Nur kurz, dann zum (kalten) Duschen. Danach Massage und dann heim. Ich bin müde
aber immer noch im Himmel.
Der zweite Ironman war in meinem Fall eindeutig schwieriger als der erste, da ich
ja diesmal wusste, was so auf mich zukommt. Das kann auch ein Nachteil sein. Als
dann klar war, dass ich in dieser Hitzeschlacht meine Zielzeit verfehlen und auch
keinen Weltrekord aufstellen würde, kam ich kurz ins Schleudern. Doch dann kam die
Klarheit. "It's not about the time!" - die Zeit ist zweitrangig. Der Weg ist das
Ziel! An seine eigenen Grenzen zu gehen und darüber hinaus (sowohl am Wettkampftag
wie auch in der sechsmonatigen Vorbereitung) ist einzig entscheidend und jedes Mal
von Neuem schon allein die Reise wert. Auf ein Neues!
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Bericht: Knut |
Bilder: Simon Poole |
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